Berlin 2022/2023

Berlin, Paris, Warschau, Belfast, Bern, 01.02.2024

Für herausragendes Engagement:

Die europäischen Tolerantia Awards werden seit 2006 als deutsch-französisch-polnisch-nordirischer Gemeinschaftspreis von einem Bündnis national wirkender und anerkannter LSBTIQ+ -Anti-Gewalt-Projekte und Partner in Europa vergeben. Die Bündnismitglieder setzen sich engagiert gegen Diskriminierung, Ausgrenzung und Hassgewalt gegenüber LSBTIQ+ in ihrem Land, in Europa und darüber hinaus ein; sie kooperieren miteinander und unterstützen sich gegenseitig.

Grundlage dieses Bündnisses bildet die „Tolerancja-Erklärung“. Das Bündnis wurde 2005 in Berlin gegründet, weshalb es auch als die ‚Berlin Alliance‘ bezeichnet wird. Zu den Mitgliedern zählen: MANEO (Deutschland), SOS-Homophobie (Frankreich), The Rainbow Project (Nordirland) und der 2023 mit polnischen Persönlichkeiten gegründete ‚Circle of Friends‘,der das bisherige Mitglied Lambda Warszawa abgelöst hat.

Als Ausdruck dieses Bündnisses und in Anerkennung von beispielhaften Leistungen werden die Tolerantia Awards als europäischer Gemeinschaftspreis an herausragende Persönlichkeiten und Projekte in Deutschland, Frankreich, Polen und Nordirland vergeben. Nominiert werden die Preisträger*innen von unabhängigen Jurys in den jeweiligen Ländern.

Gewürdigt werden Menschen, Einrichtungen und Gruppen für herausragendes Engagement, das demokratische Prinzipien wie Gleichberechtigung, Solidarität, gesellschaftliche Vielfalt und Toleranz sowie Einsatz gegen Homophobie, Rassismus, gegen jede Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit im eigenen Land, in Europa und darüber hinaus unterstreicht. Die Tolerantia Awards werden jährlich von den Mitgliedsorganisationen in einer ihrer Hauptstädte vergeben. Die Veranstaltungen werden ausschließlich ehrenamtlich organisiert und über Spenden und Sponsoring finanziert. Corona-bedingt konnte die Preisverleihung für das Jahr 2022 nicht stattfinden. Deshalb würdigen wir die Preisträger*innen von 2022 mit der Preisverleihung für das Jahr 2023 zusammen.

Dazu lädt MANEO nach Berlin ein. Wir würdigen unsere Preisträger*innen, die heute am 8. März 2024 in Berlin mit den Tolerantia Awards ausgezeichnet werden.

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Deutschland

Seyran Ateş

Seyran Ateş
(Tolerantia Award 2022)

Seyran Ateş ist Frauenrechtlerin und Rechtsanwältin, Jahrgang 1963, und in Berlin zu Hause. Ihr politisches Engagement begann mit 17 Jahren als Schulsprecherin der Paul Herz Oberschule In Berlin-Wedding. Sie wechselte zum Oberstufenzentrum Wirtschaft, Verwaltung und Recht, um 1983 ihr Abitur zu machen und Jura studieren zu können, ihr Wunsch seit Kindertagen. Sie zog mit 17 Jahren von zu Hause aus, was nicht ganz leicht war für eine junge Frau aus einer traditionellen kurdisch-türkischen Familie. Dabei lernte sie viele Beratungsstellen kennen und stellte fest, dass junge türkische Frauen aus den sogenannten Gastarbeiterfamilien nicht adäquat beraten und unterstützt wurden, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Also engagierte sie sich selbst: im TIO („Treff- und Informationsort für Frauen aus der Türkei’). Mit 20 Jahren veröffentlichte sie ihr erstes politisches Buch („Wo gehören wir hin?“, 1983, Lamuv-Verlag), zunächst unter einem Pseudonym. 1984, sie war gerade 21 Jahren, wurde sie Opfer eines politischen Anschlags gegen TIO. Eine Klientin starb, sie selbst wurde schwer verletzt. Ein Täter konnte nicht ermittelt werden, wird jedoch in rechtsextremen türkischen Kreisen vermutet. Aufgrund ihrer schweren Verletzungen konnte sie erst sechs Jahre später ihr Studium fortsetzen. Sie blieb auch während ihrer Rekonvaleszenz aktiv, beispielsweise bei SOS Rassismus, in Frauengruppen, der Bürgerinitiative Tschernobyl, der Berliner Mietergemeinschaft und bei Hausbesetzern in Moabit. Nach dem Mauerfall war sie zeitweilig selbst Hausbesetzerin in Lichtenberg. 1997 schloss sie ihr Jura-Studium ab und arbeitete als Rechtsanwältin. 2003 veröffentlichte sie ihr zweites Buch („Große Reise ins Feuer“, Rowohlt). Insgesamt hat sie neben Artikeln, Vorträgen und Drehbuch-Beiträgen bisher sechs Bücher veröffentlicht.

Seyran Ateş engagiert sich seit ihrer Jugend konsequent für Frauenrechte, LSBTIQ+ und Menschenrechte. „Alles, was ich gemacht habe, war stets eine Konsequenz aus vorherigen Entwicklungen“. Als Rechtsanwältin hat sie Betroffene eng begleitet, die häusliche Gewalt erlitten hatten, und gegen Zwangsverheiratung, Kinderehen, gegen Gewalt und Mord „im Namen der Ehre“ gekämpft und Frauen zur Scheidung verholfen, was ihnen in Moscheen oft verweigert wurde. Ab 2003 engagierte sie sich öffentlich dafür, „Zwangsverheiratung“ als eigenständigen Straftatbestand ins Strafgesetzbuch aufzunehmen. Erneut erlebte sie massive Anfeindungen. 2006 wurden sie und ihre Mandantin auf offener Straße von deren Ehemann körperlich angegriffen. Seyran Ateş schloss vorübergehend ihre Kanzlei und gab ihre Zulassung zurück. 2007 nahm sie jedoch ihre Anwaltstätigkeit wieder auf.

Eine Zeitenwende waren die Anschläge vom 11. September 2001. Danach beschäftigte sie sich noch intensiver mit dem politischen Islam. Ihr eigenes soziales Umfeld war liberal, deshalb fand sie es notwendig, sich mit religiös-theologischen Kontroversen im Islam auseinanderzusetzen, nicht zuletzt ganz praktisch im Interesse ihrer Mandantinnen. 2006 gehörte sie zu den Gründungsmitgliedern der deutschen Islamkonferenz und musste miterleben, wie die Vertreter konservativer Islamverbände die Deutungshoheit über den Islam an sich rissen und liberalen Muslim*innen jede Mitsprache verweigerten. Und ausgerechnet hier wurden auch ihr Lesbischsein und ihre Bisexualität diskreditiert. Ab 2009 wurde sie zu Treffen nicht mehr eingeladen, vermutlich auf Druck der Islamverbände. Daraufhin beschloss sie, eine liberale Moschee zu gründen. Es folgten acht arbeitsintensive Jahre in Eigenstudium. 2017 konnte sie die Ibn Rushd-Goethe Moschee eröffnen – heute ein Ort mit einer Gemeinde, die gleichberechtigt auch Frauen und LSBTIQ+ aufnimmt. Die Gründung der Moschee setzte weltweit ein Zeichen, dass es einen liberalen Islam gibt, dass er praktiziert wird und dass Freiheit im Glauben möglich ist. Die Moschee ist seit 2020 Anlaufstelle des Projekts „Islam und Diversity“, das mit seiner Regenbogenkampagne „Liebe ist Halal“ für großes Aufsehen gesorgt hat, und hat 2022 das „Mernissi-de Gouges Bildungs- und Sozialwerk“ gegründet. Seyran Ateş hat sich immer auch für interreligiösen Dialog eingesetzt. Gemeinsam mit (u.a.) Lala Süsskind, Ulrike Trautwein und Gülsen Cakal hat sie 2014-2016 die Mahnwachen „Kein Morden im Namen Gottes – für Menschenrechte und gegen religiösen Fanatismus“ am Brandenburger Tor organisiert. Auch ihr Engagement für die interkonfessionellen CSD-Gottesdienste gehört dazu.

2022 wurde vor der Ibn Rushd-Goethe Moschee erstmals eine Regenbogenfahne gehisst. Anwesend war auch der heutige Regierende Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner. Die Flaggenhissung führte zu einem Shitstorm und Anfeindungen durch islamistische Fanatiker aus aller Welt, was Seyran Ateş aber nicht davon abhält, standhaft zu bleiben.

Wir würdigen das Engagement von Seyran Ateş für die Menschenrechte, für das Selbstbestimmungsrecht und die Gleichberechtigung von Frauen und LSBTIQ+ und für die Freiheit des Glaubens.


Dr. Bertold Höcker

Dr. Bertold Höcker

(Foto: ©Martin Kirchner)
(Tolerantia Award 2023)

Dr. Bertold Höcker, evangelischer Theologe, Jahrgang 1958, ist in Kiel geboren und aufgewachsen. Er hatte immer schon den Wunsch Pfarrer zu werden, doch das war damals für einen Mann, der zu seiner Homosexualität stand, unmöglich. Deshalb begann er zuerst eine Lehre als Orgelbauer und arbeitete zwei Jahre als Geselle in diesem Beruf. Anschließend studierte er Kirchenmusik, was damals ohne Abitur möglich war. Mit seinem Einkommen als Organist holte er am Abendgymnasium sein Abitur nach und lernte dabei bereits Latein und Alt-Griechisch. Es folgte das Doppelstudium der Theologie und der Psychologie. Beide Studien schloss er erfolgreich ab, die Theologie 1994 mit einer Promotion. Parallel dazu engagierte er sich in den LSBTIQ+ -Szenen, leitete bereits als Vikar mit Anfang 30 die AIDS-Hilfe Schleswig-Holstein in Kiel. Innerhalb eines Jahres musste er 30 junge Männer beerdigen, die – jünger als er selbst – an den Folgen von AIDS gestorben waren. Diese Zeit hat ihn geprägt. Von Kiel ging er nach Köln, wo er als Stadtpfarrer tätig war (2002-2009). Er übernahm regelmäßig die Gottesdienste zum Welt-AIDS-Tag am 1. Dezember und zum Kölner CSD, die von Jahr zu Jahr über das Fassungsvermögen des Kirchengebäudes hinauswuchsen und nach Außen übertragen werden mussten. In dieser Zeit arbeitete er eng mit der Bürgermeisterin der Stadt Köln, Elfi Scho-Antwerpes, zusammen und lernte ihr beharrliches Engagement sehr zu schätzen. 2009 wechselte er nach Berlin und übernahm die Stelle des Superintendenten des Kirchenkreises Stadtmitte der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz.

Dr. Bertold Höcker war schon früh überzeugt, dass seine Homosexualität gottgewollt war. Dass seine Identität gesellschaftliche Nachteile brachte, akzeptierte er, ohne sie zu verraten. Er entwickelte daraus vielmehr ein geduldiges Engagement für die Durchsetzung der Gleichberechtigung. Sein Studium führte ihn zur Beschäftigung mit mittelalterlichen Formularen für gleichgeschlechtliche Segnungen – sie lassen sich ab dem 12. Jahrhundert finden und zeigen immer auch ein Spannungsverhältnis zwischen biblischen Befunden und kulturellen Überlieferungen. Hierzu hat er viele Aufsätze verfasst. Seinerzeit gab es solche Segnungen nur für männliche Paare, sie waren aber trotzdem nicht unbedeutend, denn sie hatten juristische Folgen, beispielsweise die Versorgungspflicht auch für die Familie des Partners. Die Partner durften auch miteinander bestattet werden. Vor diesem Hintergrund setzte sich Dr. Bertold Höcker schon für die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare ein, als das in der Kirche noch nicht möglich war, sowie für die Schaffung von Räumen, in denen LSBTIQ+ Ansprechpersonen hatten, sich austauschten konnten und Stärkung fanden. Und er erarbeitete Aufklärungs- und Sensibilisierungsprojekte innerhalb der Kirche und wirkte schließlich mit am Schuldbekenntnis der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) von 2021 mit der eine Entschuldigung gegenüber der langanhaltenden Diskriminierung von LSBTIQ+ in der evangelischen Kirche und der Bitte um Vergebung verbunden ist.

Dr. Bertold Höcker ist ein konsequenter Vertreter des interreligiösen Dialogs. Er übernahm nicht nur die Idee der CSD-Gottesdienste, die er seit 2017 mit liberalen Juden und Muslimen zusammen feierte. Er betrieb aktiv die Zusammenarbeit mit der Ibn Rushd-Goethe Moschee und beschaffte ihr Räume in einer evangelischen Kirche in Berlin-Moabit. Er ist außerdem aktiv im Vorstand der Initiative „House of One“, in dem die drei monotheistischen Weltreligionen in Berlin-Mitte, auf den Grundmauern der historisch ältesten Kirche in Berlin, ihren Platz finden sollen: Ein gemeinsames Dach für die Stärkung von Toleranz, LSBTIQ+ freundlichen und friedensstiftenden Potenzialen der Religionen, der Zusammenarbeit und des Zusammenlebens in unseren Gesellschaften. Dank ihm hat die EKBO einen eigenen Wagen beim Berliner CSD, mittlerweile dessen fester Bestandteil. Und er initiierte zusammen mit einer kleinen Gruppe der evangelischen Kirche Stadtmitte die vielbeachtete und vielkopierte Kampagne „Liebe tut der Seele gut“.

Dr. Bertold Höcker ist in vielen weiteren Initiativen, Bündnissen und Stiftungen aktiv, u.a. in der Flüchtlingskirche für LSBTIQ+, die sich gerade auch um LSBTIQ+ Geflüchtete kümmert, in der Lebensberatung am Berliner Dom, im Bündnis für Weltoffenheit und Toleranz, in der Constantia Stiftung für Miteinander und Vielfalt sowie in Beiräten zur Erhaltung von kirchlichen Kulturstätten.

Wir würdigen sein Engagement für Toleranz und Vielfalt, gegen LSBTIQ+ -Feindlichkeit und Hassgewalt, für Gleichberechtigung und Friedfertigkeit in unserer Gesellschaft. Wir danken ihm für seinen bisherigen Einsatz.

Kontact: Bastian Finke, Director of MANEO;
Mail: bastian. Finke [at ] maneo. de / home: www.maneo.de

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France

Jérémy Clamy Edroux

Jérémy Clamy Edroux
(Tolerantia Award 2022)


Jérémy Clamy-Edroux, gebohren 1991, ist ein professioneller französischer Rugbyspieler, der in der französischen ersten Liga beim Verein „CM Floirac“ spielt.

Im Juni 2021 outete sich Jérémy Clamy-Edroux in einem Dokumentarfilm als schwuler Mann. Der Filmbeitrag war auf MyCanal mit dem Titel „Faut qu’on parle“ (wir müssen darüber sprechen) ausgestrahlt worden.

Nach seinem Coming-out erhielt er vor den Kameras von La chaîne L’Équipe Unterstützung von beispielsweise Mathieu Bastareaud, Trainer Nicolas Godignon, Serge Simon und Olivier Rouyer, was ihn zu Tränen rührt. Darin äußerte er auch sein Unverständnis darüber, dass sich Idrissa Gueye,weigerte, am Internationalen Tag gegen Homophobie und Trans*phobie in einem regenbogenfarbenen Trikot zu spielen.

Wir würdigen Jérémy Clamy Edroux für sein herausragendes Engagement im Kampf gegen Gewalt und Diskriminierung von LGBTI+ Menschen im Rugby.


Sarah Brethes, Mathieu Magnaudeix und David Perrotin

Sarah Brethes,

Mathieu Magnaudeix,

David Perrotin
(Tolerantia Award 2023)

Für Ihr herausragendes Engagement würdigen wir Sarah Brethes, Mathieu Magnaudeix und David Perrotin.

Sarah Brethes, Mathieu Magnaudeix und David Perrotin haben den Dokumentarfilm „Guet-apens, des crimes invisibles“ (hinterhältige Fallen, die unsichtbaren Verbrechen) gedreht, der von ‚Mediapart‘ ausgestrahlt wurde. Dabei handelt es sich um einen Dokumentarfilm, der Gewalt gegen LGBTI+ Menschen thematisiert.

Nach mehrmonatigen Recherchen enthüllt der Dokumentarfilm das Ausmaß eines Phänomens, das praktisch als verschwunden galt: die manchmal tödlichen Fallen, denen Homosexuelle und Bi- Menschen über Apps oder Dating-Plattformen begegnen.

David PerrotinZehn Jahre nach dem Gesetz zur Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zeigt er, dass Homophobie und Biphobie in Frankreich nach wie vor existieren. Er hinterfragt auch, wie die Polizei und die Justiz auf diese Angriffe reagieren. Die Stimme des Films wird von Eddy de Pretto gesprochen, einem Sänger, der sich für die Rechte von LGBTI+ Personen engagiert.

Mathieu MagnaudeixWir danken Sarah Brethes, Mathieu Magnaudeix und David Perrotin für ihre aufklärende Arbeit und Ihren Einsatz gegen LSBTI+ feindliche Gewalt. Dafür zeichnen wir sie mit dem Tolerantia Awards 2023 aus.

Kontact: Joël Deumier, Copresident SOS homophobie
Mail: bureau [at ] sos-homophobie. org / home: www.sos-homophobie.org

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Poland

Tomasz Baczkowski

Tomasz Baczkowski

(Tolerantia Awards 2022)


Tomasz Baczkowski, geboren 1972, ist seit den 1990er Jahren LSBTIQ+ Aktivist und setzt seitdem mit seinem Engagement bedeutende Impulse für die Gleichberechtigung von LSBTIQ+ in Polen und für Veränderungen innerhalb der polnischen Gesellschaft.

Sein Engagement begann in den 1990er Jahren mit seinem Umzug nach Berlin. Er studierte in Potsdam BWL und in Breslau Ökonomie, anschließend Architektur. In diesem Beruf arbeitet er bis heute. In Berlin kam er mit der Arbeit von Mann-O-Meter und MANEO in Berührung, und war aktiv u.a. beim Berliner CSD und dem damals noch von MANEO organisierten Lesbisch-Schwulen Stadtfest. Er knüpfte Kontakte zu polnischen Politikern, die 1997 vom Stadtfest nach Berlin eingeladen worden waren, u.a. Piotr Gadzinowski, Cezary Stryjak und Joanna Sosnowska, und sorgte für Gespräche, Austausch und Vernetzung. Nachdem erzkonservative polnische Politiker mittels Medienkampagne aus einer Dienstreise von Parlamentsabgeordneten zu einer LSBTIQ+ Veranstaltung einen öffentlichen Skandal gemacht hatten, organisierte Tomasz Baczkowski im Dezember 1998 einen Workshop mit deutschen und polnischen LSBTIQ+ -Aktivistinnen und Politikerinnen auf dem Schloß Radziejowice (bei Warschau). Unter anderem sprachen hier die polnische Ministerin für Soziales, Jolanta Banach, und der irische Senator, Prof. David Norris. Auch die polnischen Politiker Jerzy Urban und Tadeusz Iwinski nahmen daran teil. Das Treffen gab weitere wichtige Impulse für die Vernetzung von LSBTIQ+ -Aktivistinnen und Politik in Polen.

2001 wurde Tomasz Baczkowski eins der ersten Mitglieder der von Robert Biedroń mitgegründeten Kampania Przeciw Homofobii – KPH‘ (Kampagne gegen Homophobie). Er engagierte sich dann vor allem für die ‚Parada Rowności‘, eine Demonstration für Toleranz und Gleichberechtigung von LSBTIQ+, die 2004 vom damaligen Bürgermeister Lech Kaczyński (PiS-Partei) verboten worden war. Er war Initiator und gemeinsam mit Partnern (u.a. KPH und Lambda Warschau) Gründer der Fundacja Równości (Stiftung für Gleichberechtigung). Von 2005 bis 2010 organisierte Tomasz Baczkowski die ‚Parada Rowności‘ (Europride). Trotz des neuerlichen Demonstrationsverbotes durch Bürgermeister Lech Kaczyński und einzelner Übergriffe durch Gegendemonstranten fand die Demonstration unter starkem Polizeischutz statt. Zur ‚Pride Week‘ organisierte Tomasz Baczkowski mit der Stiftung ‚Fundacja Równości‘ alljährlich internationale Konferenzen in Warschau, außerdem das erste LGBT-Filmfestival in Polen, das anschließend als eigenständiges Filmfestival zum bedeutensten Filmfestival in Osteuropa avancierte. 2010 organisierte er gemeinsam mit dem polnischen Nationalmuseum die Ausstellung ‚Ars Homo Erotica‘, die selbstverständlich massiv kritisiert wurde, insbesondere von erzkonservativen Politikern, u.a. von der PiS-Partei.

Viel öffentliche Aufmerksamkeit erfuhr die Klage, die „Tomasz Baczkowski and others“ 2006 beim Europäischen Menschengerichtshof eingereicht hatten. Es ging um das Verbot der ‚Parada Rownowski‘. Sie hatten alle rechtlichen Instanzen in Polen genommen und waren dafür im Land von Rechtskonservativen immer wieder massiv angefeindet worden, schließlich verklagten sie den polnischen Staat vor dem European Court of Human Rights in Straßbourg. 2007 wurden Polen und Lech Kaczyński (der damalige Bürgermeister Warschaus und inzwischen polnischer Staatspräsident) verurteilt, sowohl polnisches Recht gebrochen als auch die Europäische Menschenrechtskonvention in mehreren Punkten verletzt zu haben. Dieses wegweisende Urteil schuf den rechtlichen Präzedenzfall, anhand dessen später auch Demonstrationsverbote in polnische Regionen und selbst in Moskau und Belgrad verurteilt werden konnten.

Tomasz Baczkowski war bis 2018 Mitglied des Vorstandes der EPOA (European Pride Organisers Assosiation). In seiner Freizeit ist er passionierter Koch und Bäcker. 2018 gewann er in der Fernsehshow „Back off“ im staatlichen polnischen Fernsehen den Titel „bester polnischer Bäcker“. Seine größte Leidenschaft sind die Bienen. Er hat dazu ein Universitätsstudium in Imkerei abgeschlossen und betreibt erfolgreich seine eigene Imkerei.

Tomasz Baczkowski war immer ausschließlich ehrenamtlich aktiv. Wir würdigen sein herausragendes Engagement und seine Unterstützung der LSBTIQ+ Communities in Polen, seinen Mut und seinen Einsatz gegen Hass und Gewalt, für die Grundwerte und Prinzipien einer demokratischen Gesellschaft, zu denen die unteilbaren Menschenrechte, die Gleichheit und Würde aller Menschen, gesellschaftliche Vielfalt, Toleranz und Solidarität gehören. Dafür zeichnen wir ihn mit dem Tolerantia Award 2022 aus.


Robert Biedron

Robert Biedron
(Tolerantia Awards 2023)

Robert Biedroń, geboren 1976, ist ein polnischer Politiker und aktiver Publizist. Er steht für Mut, Innovationskraft und den unermüdlichen Kampf für Menschenrechte in der ganzen Welt. Robert Biedrońs Einsatz für diese Werte war auf herausragende Weise bahnbrechend für die polnische Politik, nicht zuletzt, weil er immer auch Fürsprecher all der Minderheiten und marginalisierten Gruppen ist, die im Schatten stehen.

Sein Engagement für die Rechte von LSBTIQ+ begann, als er 1995 in Berlin mit Mann-O-Meter in Kontakt kam. Seine Begegnung mit der britischen Organisation OutRage! inspirierte ihn noch mehr, sich als Kämpfer für die Freiheit einzusetzen. All diese Erfahrungen brachten ihn dazu, sich in Polen und darüber hinaus für die Rechte von LSBTIQ+ einzusetzen. Nach seiner Rückkehr nach Polen setzte er seine Ausbildung fort. Er studierte Politikwissenschaft an der Universität Warmińsko-Mazurski in Olsztyn (Ermland-Masuren, in Allenstein) und erwarb seinen Master 2003.

Während seines Studiums schloss sich Robert Biedroń Lambda-Olsztyn, einer LSBTIQ+ Organisation, an. Diese Erfahrungen motivierten ihn in seinem weiteren Engagement. Damit begann auch seine politische Laufbahn. Seit 1998 engagiert er sich für die polnische Sozialdemokratie (Socjaldemoracja Rzeczypospolitej Polskiej), nach deren Transformation für den Bund der Demokratischen Linken (Sojusz Lewicy Demokraticznej – SLD). Im Jahr 2001 gründete er mit polnischen Aktivist*innen die Kampagne gegen Homophobie (Kampania Przeciw Homofobii), um auch hier politisches Engagement zu bündeln. 2007 erschien sein Buch „Tęczowy elementarz“ (Regenbogen-ABC), ein allgemeines Sachbuch zu LSBTIQ+ -Themen, das, so sein Ziel, als ergänzendes Unterrichtsmaterial in weiterführenden Schulen eingesetzt werden sollte. Er wandte sich an das polnische Bildungsministerium, um Toleranz im Bildungssystem zu befördern. Seine Initiative traf selbstverständlich auf massiven Widerstand aus rechtskonservativen politischen Kreisen.

Sein Kampf um Gleichberechtigung wurde 2011 mit einem historischen Erfolg gekrönt: Robert Biedroń wurde als erster offener schwuler Abgeordneter in den Sejm gewählt. Ein Wendepunkt auch für einen Wandel in der polnischen Politik.
Auch bei der Organisation der ersten ‚Pride Parade‘ in Polen (Parada Równości) spielte Robert Biedroń eine Schlüsselrolle. Sie wurden zu einem bedeutenden Symbol für den Kampf um Akzeptanz und Gleichberechtigung von LSBTIQ+ -Personen, erzeugten Aufmerksamkeit und Bewusstsein innerhalb der polnischen Gesellschaft.

2014 markiert einen weiteren Meilenstein: Robert Biedroń wurde als erster offen schwuler Mann zum Bürgermeister der Stadt Słupsk (Stolp) gewählt. Er reformierte und modernisierte die Stadtverwaltung und öffnete damit die Stadt hin zu mehr Transparenz, für Toleranz und soziales Engagement. Während seiner Amtszeit wurde er auch international bekannt und als Leuchtturm für fortschrittlichen Wandel in Polen gefeiert.

2019 gründete er die Partei Wiosna („Frühling“) und bewies erneut, wie wirkmächtig seine Vision und seine Fähigkeiten sind. Die an progressiven Werten orientierte Partei erreichte bei der Wahl zum Europäischen Parlament auf Anhieb 6 Prozent der Wählerstimmen, damit auch drei Mandate. Als Mitglied des Europäischen Parlaments setzt sich Robert Biedroń aktiv für Gleichberechtigung, Menschenrechte und Umweltschutz ein. Zurzeit ist er Vorsitzender des ‚Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter‘ im Europäischen Parlament. Außerdem ist er aktives Mitglied in der ‚LGBTI Intergroup‘ des Europäischen Parlaments. Seine Arbeit auf der internationalen Bühne trägt entscheidend zur Förderung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten bei, in Polen, Europa und darüber hinaus.

Später vereinigte sich Robert Bidrońs Partei Wiosna mit der Demokratischen Linken (SLD) zur Nowa Lewica (Neue Linke). Gemeinsam mit der Partei Lewica Razem (Linke Gemeinsam) bildeten sie ein Bündnis, mit dem sie 2019 zur Parlamentswahl in Polen antraten und damit zur dritten politischen Kraft im Land avancierten. Nach dem Machtwechsel in Polen 2023 sind sie als Lewica (Linke) Teil der derzeitigen Regierungskoalition unter Premier Tusk.

Wir würdigen Robert Biedrońs andauerndes und herausragendes Engagement zur Unterstützung der LSBTIQ+-Communities in Polen und Europa, seinen Mut und seinen Einsatz gegen Hass und Gewalt, für die Grundwerte und Prinzipien einer demokratischen Gesellschaft, zu denen stets die unteilbaren Menschenrechte, die Gleichheit und Würde aller Menschen, gesellschaftliche Vielfalt, Toleranz und Solidarität gehören. Wir würdigen sein kontinuierliches Eintreten für Dialog und Verständigung. Wir würdigen Robert Biedroń mit dem Tolerantia Award 2023.

Kontact:
Lambda Warszawa, board-member Krzysztof Kliszczyński,
Mail: kkliszczynski [at ] lambdawarszawa. org / home: www.lambdawarszawa.org

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Northern Ireland

Cara McCann

Cara McCann
(Tolerantia Award 2022)

Cara McCann ist Leiterin von „HERe NI“, einer gemeinnützigen Organisation für LSBTIQA+-Frauen in Nordirland. In dieser Funktion hat sie die Organisation vorangebracht und ist selbst zur lauten und energischen Verfechterin der Frauen- und Trans*-Inklusion geworden.

Als langjährige Aktivistin trug sie außerdem immens zur Verbesserung des politischen Klimas für LSBTIQA+-Menschen bei.
Cara und ihre Ehefrau Amanda waren die öffentlichen Gesichter der sehr erfolgreichen Kampagne für die gleichgeschlechtliche Ehe in Nordirland und der nachfolgenden Kampagne zur Umwandlung eingetragener Partnerschaften in den Status der Ehe. Die Beiden gehörten 2020 zu den ersten Paaren, die geheiratet haben.

Cara übernahm die Führungsfunktionen, als die Belfast Pride, eine der größten LSBTIQA+-Veranstaltungen im Vereinigten Königreich und Nordirland in einer entscheidenden Phase steckte und sicherte damit die Zukunft der Oranisation.

Cara stammt aus West Belfast auf und hat ein Soziologiestudium abgeschlossen sowie einen Master in Frauen- und Genderstudien. Ihr Forschungsgebiet ist lesbische Mutterschaft. Sie verfügt über langjährige Erfahrung in der Community-Entwicklungsarbeit und war Dozentin für Soziologie, Sozialpolitik und Geschlechterstudien an der Queens University in Belfast.


Annette Whelan

Annette Whelan
(Tolerantia Award 2023)

Annette Whelan hat über sechzehn Jahre Berufserfahrung zur Informationssicherheit im globalen Finanzsektor. Sie leitete LSBTIQA+-Netzwerke für Arbeitnehmer*innen sowohl auf lokaler als auch auf globaler Ebene. Sie ist eine leidenschaftliche Kämpferin für Diversität, Gerechtigkeit und Inklusion (DEI) am Arbeitsplatz.

Neben ihrem Beruf ist Annette Co-Vorsitzende von Working With Pride (WWP). Gegründet im Juli 2014 fasst WWP die Pride-Netzwerke innerhalb von Unternehmen in Nordirland zusammen und verstärkt die Sichtbarkeit von lesbischen, schwulen, bisexuellen und trans* Mitarbeitenden in den Mitgliedsorganisationen. WWP ist seinerseits ein inklusives Netzwerk für die LGBTIQA-Aktivitäten am Arbeitsplatz, deren Führungskräfte und Unterstützer*innen.

Die Arbeit im Netzwerk ist ehrenamtlich, Veranstaltungen können nur stattfinden, weil Mitgliedsorganisationen die praktische Federführung übernehmen. Aus den ursprünglich fünf Mitgliedsorganisationen bei der Gründung 2014 sind 2024 sechsundsechzig geworden. UnterAnnettes Co-Vorsitz hat das WWP eine Menge bewirkt und tut das weiterhin – die „Business Love Quality“-Kampagne, die zur Durchsetzung der Ehe für alle in Nordirland beitrug, gehört ebenso dazu wie die Spendensammlung von über £40.000 (ca € 47.000) für LSBTIQA+-Wohlfahrtorganisationen.

Annette ist außerdem eine Treuhänderin der Belfast Pride, eines der größten Festivals in Nordirland mit über 150 Events an 10 Tagen und eine der größten Pride-Veranstaltungen im Vereinigten Königreich und Irland.

Kontact: Scott Cuthbertson, Director
Mail: director [at] rainbow-project. org / home: www.rainbow-project.org

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